Hier noch ein Bericht von heute aus der Basllandschaftlichen Zeitung:
Jetzt passen die Allschwiler Labradore auch auf Kinder mit autistischen Störungen auf
Die Schule für Blindenführhunde in Allschwil bildet neu auch Rollstuhl- und Autismus-Begleithunde aus.
Georgina Rotter
Ohne die leiseste Vorwarnung versucht das Kind, auf die rege befahrene Strasse hinauszurennen. Eine Labradorhündin ist mit dem Kind durch eine Leine verbunden, spürt den Ruck und setzt sich sofort hin, ohne auch nur ein Signal ihres erwachsenen Halters abzuwarten. Die Hündin rührt sich vorerst nicht mehr von der Stelle und zwingt damit das Kind, am Strassenrand stehen zu bleiben.
Die neunjährige Sina hat soeben demonstriert, wie sich ein Kind mit Autismusspektrumsstörung (ASS) im Strassenverkehr verhalten könnte. ASS, früher einfach Autismus genannt, ist eine Störung der Informationsverarbeitung und der sozialen Entwicklung. Mit ihrer sofortigen Reaktion hat die Labradorhündin Umea theoretisch gerade das Leben ihres Schützlings gerettet.
Hund erzwingt Stopp
Als die Einheit Halter-Hund-Kind den Fussgängerstreifen überqueren will, geschieht etwas Ähnliches. Solange die Autos über den Fussgängerstreifen brausen, bleibt Umea sitzen und zwingt damit auch das Kind, stehen zu bleiben. Erst auf ein Signal des Erwachsenen hin steht Umea wieder auf und überquert mit ihren beiden Menschen in ruhigem Tempo die Strasse. Seit vergangenem November bildet Peter Kaufmann erstmals in der Schweiz Autismus-Begleithunde aus. Sie sollen Kindern mit ASS helfen, sich sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen. Umea mit dem blonden Fell ist nur eines von mehreren Geschwistern an der Blindenführhundeschule in Allschwil, die ab November ihre Aufgabe bei Familien mit einem autistischen Kind wahrnehmen werden.
Ein Kind mit ASS kann soziale Signale und sensorische Reize wie Bewegungen im Strassenverkehr nicht immer korrekt einordnen. So kann es zum Beispiel wegen einer Lichtreflexion beim Überqueren einer Strasse im falschen Augenblick stehen bleiben oder vor einen Lastwagen rennen. Oft reagiert es auf Reize mit heftigen Temperamentsausbrüchen oder stereotypem Verhalten.
«Eltern von Kindern mit ASS neigen dazu, mit ihrem Kind zu Hause zu bleiben, um weitere schwierige Erfahrungen zu vermeiden», weiss Peter Kaufmann, Ausbilder für Autismus-Begleithunde an der Blindenhundeschule in Allschwil. Tatsächlich bergen bereits einfache Exkursionen wie der Gang in den Lebensmittelladen ein höheres Unfallrisiko. Hier springen jedoch die Autismus-Begleithunde in die Bresche.
«Oft kann das Kind mit ASS das logische Verhalten des Hundes besser als dasjenige des Menschen akzeptieren. Der Hund ist unverstellt und direkt», erläutert der Hundekenner. Der Weg zur Schule wird entspannter, und die Mutter kann einkaufen, ohne dass das Kind sich losreissen will, während sie gerade zahlt. «Kinder mit ASS reagieren auf einen Hund meist mit grosser Freude und werden ruhiger», weiss der Labradorzüchter.
Vor acht Jahren besuchte Peter Kaufmann auf der grünen Insel die Organisation Irish Guide Dogs in Cork. Die IGD hatte als erste europäische Institution mit den Gründern in Kanada Kontakt aufgenommen und mit der Ausbildung eigener Autismus-Begleithunde angefangen. «Was damals in Irland zwischen Kind und Hund passierte, ist ein Wunder», erinnert sich der Hundeexperte an sein damaliges grosses Aha-Erlebnis. «Plötzlich brauchte das Kind das Angebundensein nicht mehr. Es blieb am Fussgängerstreifen ganz von allein stehen.»