Schlaflose Nacht

Crispy

Erfahrener Benutzer
18. Nov. 2009
3.617
282
0
Hallo Ihr,

Ich habe eben grade einen jungen Mann notfallmässig Erstversorgt nach einem Suizidversuch und irgentwie kriege ich die Bilder nicht aus meinem Kopf. Ich weiss, nicht sehr professionell. Aber wie kann man als 20jähriger so einen Entschluss fassen. Was muss der junge Mann alles schon erlebt haben...Es macht mich traurig, das es trotz all der Einrichtungen, Therapien etc ihm nicht geholfen werden konnte.

Wir hatten heute eine ganz normale Feuerwehrübung. 2 Stunden lang Pumpen zusammesetzen, bedienen, auseinandernehmen etc. Danach gings im Depot zum Grillieren. Wir stehen alle so um den Grill als ein junger Mann aufs Depot zukommt. Einen Arm in ein Handtuch gewickelt. Er stellt sich zu ein paar Männern von uns und raucht eine. Irgentwann höre ich nur wie jemand meinen Namen ruft und zwar so, das klar war, das was ernsthaftes ist (sie verarschen mich ja sonst gerne mal). Ich gehe also zu der Gruppe und sehe einen recht weiss aussehenden jungen Mann ganz in Schwarz gekleidet mit rotem Handtuch und denke mir nichts dabei. Bis der Kollege sagt "Er behauptet, er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten". Ich dachte ja klar, ihr wieder. Tolle Verarsche. Dann nehm ich also das Handtuch weg und hab schon die erste Ladung auf meinem T-shirt. Und dann Panik um mich rum. Die Männer wissen nicht was tun. Früher hätte ich auch da gestanden und hätte nicht gewusst was tun. Nach 5 Jahren Ausbildung bei der Feuerwehr hat mein Körper und mein Geist automatisch reagiert. Ich habe 2 Männer eingeteilt, die den jungen Mann ins Depot reingebracht haben. Habe beim Gehen dem Materialwart aufgezählt, was ich an Material brauche aus dem Sanifahrzeug, habe mir Handschuhe angezogen ohne darüber nachzudenken und habe dann einfach gemacht. Es ist wahnsinn wie man in so Notsituationen all sein Wissen (was man gar nicht weiss, das man es hat) abspult. Ich habe gleichzeitig den jungen Mann notversorgt (und ich sage Euch so ein Skalpell macht ecklig tiefe Schnitte, er hatte welche im Krankenhaus gestohlen und ich habe so tiefe Schnitte noch nie gesehen), ihn beruhigt, die ersten wichtige Fragen gestellt und notieren lassen und nebenbei noch weitere Feuerwehrkollegen für andere Aufgaben eingeteilt. Und das alles ganz ruhig und völlig relaxed (und das entspricht so gar nicht meinem Naturell). Der Notarzt kam dann, hat meine Verbände kontrolliert und auch gleich so gelassen und den jungen Mann mitgenommen. Was dann passiert ist, weiss ich nicht mehr so genau. Jemand hat mir ein sauberes T-Shirt gegeben, was zu trinken und dann haben sie alle geguckt wie ein Auto. Irgentwann wars dann wieder gut und ich konnte auch wieder denken...Und jetzt 2 Std später bin ich zu Hause und kriege die Bilder nicht mehr aus dem Kopf...

Ich bin dankbar das ich in all den Ãœbungen bei der Feuerwehr gelernt habe im Ernstfall richtig zu reagieren und das ich ohne zu überlegen dieses Wissen auch abspulen kann. Ich bin dankbar das die Kollegen während des Einsatzes mir völlig vertraut haben und genau das gemacht haben, was ich Ihnen gesagt habe.
Ich bin dankbar das der junge Mann sich dann doch entschieden hat, das der Tod nicht der richtige Weg ist und das ihm eingefallen ist, das die Feuerwehr gleich um die Ecke ist. Ich bin dankbar das wir genau an diesem Abend eine Ãœbung hatten und dort waren.

Falls Ihr Euch überlegt, einen Nothelferkurs oder ähnliches zu machen und Euch nicht sicher seid, dann macht es. Ihr seht das es wirklich helfen kann...Und zwar nicht nur einem Unfallopfer, sondern auch Euch. Mir wäre es viel schlechter gegangen wenn ich gewusst hätte, das ich nicht hätte helfen können.


Sorry für den Wirrwarr, aber ich glaube ich bin noch immer nicht ganz da...Wenigstens gehts mir jetzt etwas besser...Auch wenn ich immernoch die tiefen Schnitte sehe und all die alten Narben die der junge Mann am Körper hatte. Wie grausam muss das Leben für diesen jungen Mann sein, das er sich so etwas antut?!


Schlaft gut. Ich muss um 8 Uhr zur Polizeiwache und ein Protokoll aufnehmen...

Gruss Wendy

 
Phuuu, da hast du wohl ordentlich was gezeigt!
Ich hoffe für dich, dass du so schnell als möglich mit den Bildern gut umgehen kannst und sie dich nicht weiter negativ begleiten! Sei stolz auf dich und deine Tat, vorallem um deine Hilfeleistung.

 
Schrecklich was du da erlebt hast 8o möcht ich keinem zumuten aber Hut ab vor deiner Leistung. Ursachen für Selbstmord gibts leider viele nachvollziehen kann man als aussenstehender sowas überhaupt nicht.

Vor wenigen Wochen ist auch hier was passiert. Da hat ein 26 jähriger erst seinen Hund erschossen und dann sich selbst

 
Hut ab, respekt! Schön das es menschen wie dich gibt! Schlaf gut!

 
Es gibt Menschen die drehen in solchen Situationen durch und können nicht mehr richtig denken und handeln.

Es gibt aber andere die reagieren bei solchen wirklich lebensbedrohenden unschönen Situationen reflexartig richtig.

Die haben früher einmal in der Theorie gelernt was man bei so einem Vorfall machen sollte.

In einer solchen Stress-Situation rufen die dann automatisch das Richtige fast aus dem Unterbewusstsein ab.

Was für ein Glück wenn man im Notfall so eine Person in der Nähe hat.

Du bist offenbar von der Sorte die das dann auch umsetzen kann.

Ich gratuliere dir. Du kannst stolz sein dass du das so gut gemacht hast.

Bravo.

 
Gib Dir Zeit, die Bilder, die jetzt hochkommen, die ganze Situation zu verarbeiten. Halt Dich daran fest, dass Dich Dein souveränes Handeln auch andere, kommenden Situationen dieser Art werden meistern lassen! Du kannst soooo stolz auf Dich sein!

 
Hut ab vor deiner Leistung! Gib dir die nötige Zeit das geschehene und gesehene zu verarbeiten!
Den Nothelferkurs machte ich in der Berufsvorbereitenden Schule!

 
Hallo Crispy!

Solche Erlebnisse zu verarbeiten ist immer eine grosse Herausforderung. Direkt in der Situation "funktioniert" man einfach, es wird einem erst später bewusst, was eigentlich abgelaufen ist. Ich hoffe, für dich, dass du Menschen um dich herum hast, mit denen du die Eindrücke besprechen kannst. Das ist wirklich wichtig. Diese Bilder werden dich noch eine Weile verfolgen, immer wieder in den Sinn kommen. Die Abstände werden aber immer grösser und irgendwann bist du bereit sie in eine "Schublade" zu versorgen, wo sie hinpassen.

Zu diesem jungen Mann möchte ich dir noch etwas mit auf den Weg geben. Von meiner Ausbildung her weiss ich, dass wenn jemand wirklich fest entschlossen ist sein Leben abzuschliessen, er dies auch ganz konsequent und v.a. allein durchzieht. Das was dieser Mann getan hat, war ein ganz lauter Hilfeschrei. Es war ein "Versuch" um zu zeigen, hey ich brauche Hilfe. Hätte er wirklich für sich abgeschlossen gehabt, dann wäre er nicht zu euch gestossen und hätte es noch erzählt. So gesehen, warst du eine der ersten Personen, die seinen Hilfeschrei angenommen haben und deinen Teil dazu beigetragen, ihn aus seinem seelischen Dilemma zu helfen. Es werden jetzt neue "Helfer" und "Begleiter" an seine Seite treten, die hoffentlich den richtigen Weg finden ihn weiter zu begleiten. Du hast deinen Teil dabei geleistet.

 
ui schreckliche Situation!! Hat er aber keine Sehne erwischt oder so?

Du hast sehr gut gehandelt!

Disthen ich bin auch deiner Meinung. Er wollte einen Hilferuf machen und niht sih das Leben nehmen. Trotzdem hätte es auh soweit kommen können weil er so tie geshnitten hatte.

Crispy ich hoffe du kannst das Erlebte verarbeiten und irgendwann wieder normal schlafen!!!

 
Original von Disthen

Hallo Crispy!

Zu diesem jungen Mann möchte ich dir noch etwas mit auf den Weg geben. Von meiner Ausbildung her weiss ich, dass wenn jemand wirklich fest entschlossen ist sein Leben abzuschliessen, er dies auch ganz konsequent und v.a. allein durchzieht. Das was dieser Mann getan hat, war ein ganz lauter Hilfeschrei. Es war ein "Versuch" um zu zeigen, hey ich brauche Hilfe. Hätte er wirklich für sich abgeschlossen gehabt, dann wäre er nicht zu euch gestossen und hätte es noch erzählt. So gesehen, warst du eine der ersten Personen, die seinen Hilfeschrei angenommen haben und deinen Teil dazu beigetragen, ihn aus seinem seelischen Dilemma zu helfen. Es werden jetzt neue "Helfer" und "Begleiter" an seine Seite treten, die hoffentlich den richtigen Weg finden ihn weiter zu begleiten. Du hast deinen Teil dabei geleistet.
Das stimmt,weiss ich aus eigener Erfahrung,3 Erfahrungen ;( ;( ;(

Aber doch ne Tolle Leistung von dir,und ja das belastet halt doch auch als Ausenstehende.

Mein Schulkollege hat sich mit 18 Jahren vor den Zug geworfen,ich sah wie sie seine Körperteile wegräumten...

 
ui nei, das war ja ein schreckliches Erlebnis...es wird eine Weile dauern, bist du die Bilder und den Vorfall verarbeitet hast...wichtig ist, dass du darüber reden kannst, ich hoffe du hast liebe Menschen, die dich dabei unterstützen...
Respekt für deine Leistung.

 
Ich war nun bei der Polizei. Sie wollten wissen ob er einen von uns angeriffen hat. Hoeh? Nein hat er nicht. Er war sehr ruhig und auch gelassen. Es war nicht sein erster Versuch :-( Sie haben ihn erstmal im Spital Uster behalten und von dort aus wird er eingewiesen. Mal wieder anscheinend...
Glück im Unglück hatte er jedenfalls. Er kann noch alle Finger bewegen und weil das Skalpell steril war, gibts auch nur geringe Entzündungen.

Wir haben heute Nachmittag einen Berater von der Feuerwehrseelsorge da. Er wird mit uns das Ganze noch einmal durchgehen. Er hat uns auch schon bei 2 schweren Verkehrsunfällen danach betreut und es tat sehr gut mit ihm zu reden.

Also ich muss so etwas nie wieder erleben. Aber ich habe mich nun zu einem Kurs angemeldet in dem es um psych. Probleme geht. Eigentlich kein Feuerwehrkurs, aber unser Kommandant meint das es gut wäre, wenn 2 von uns den Kurs besuchen.


Gruss Wendy, immernoch schlaflos...

 
Allergrössten Respekt vor dir Wendy!!! Das hast du super gemacht und ich finde es schön, gibt es Menschen wie dich!

Ich glaube es ist sehr gut, wenn du das Erlebte nochmals durchgehst mit psychologisch geschulten Leuten. Mein Freund hatte auch schon solche Erlebnisse, danach konnte er keine ähnlichen Dinge mehr im TV anschauen. Das muss man schon bereden können!

Und ich kann Disthen nur beipflichten, das war ein lauter Hilfeschrei von dem jungen Mann, was auch immer er für ein Leben hat.... es kann nach aussen auch "perfekt" sein ;(

Wir haben leider so einige Suizide erleben müssen in unserer Familie, wen wunderts, und die waren alle extrem effektiv und endgültig.....

Ich selber kann dazu stehen, dass ich mir ebenfalls oft die Arme aufgeschnitten habe, mit allem was ich grade so fand. Ich fühlte aufgrund meiner Situation Zuhause einen immensen Druck in mir, den ich "rauslassen" wollte. Und nicht zuletzt hoffte ich, dass irgendwer es sieht.....

 
eine freundin von mir rief mir an (20 jahre her).. und erzählte mir, sie werde sich umbringen. sie hatte einen damals 2 jährigen sohn.
ich fuhr sofort hin und wir redeten ewigs lange. nun ..
was sie mir erzählte klang gar nicht soo schlimm.. sie hatte sicher keine ausweglose situation. meiner meinung nach. aber ein hilfeschrei war es allemal.
2 monate später war sie tot.. sie hatte sich erhängt.
sowas verfolgt einem sein leben lang.
ich weiss nichtmal, ob ich gar die einzigste war, die von dem "vorhaben" wusste.

dass man im falle eines falls "automatisiert" handelt, um in notsituationen zu helfen resultiert immer auf erlerntem, was man irgendwo -gespeichert- hat.
auf jeden fall hast du super gehandelt und grossen respekt hierfür.
eine psychologische schulung ist absolut wertvoll..
dass ihr psychologisch betreut werdet ist sehr wichtig. gerade die feuerwehr sieht manchmal dinge, welche ausserordentlich schwer zu verkraften sind.
sei stolz auf dich.

 
Original von Crispy

Also ich muss so etwas nie wieder erleben. Aber ich habe mich nun zu einem Kurs angemeldet in dem es um psych. Probleme geht. Eigentlich kein Feuerwehrkurs, aber unser Kommandant meint das es gut wäre, wenn 2 von uns den Kurs besuchen.
finde ich gut und sehr wichtig...toi toi Chrispy

 
gratuliere wendy, dass du so super reagiert hast. kenne eine menge (ausgebildeter pflegeleute!!) die bei soviel blut wohl aus den latschen gekippt wären!

normalerweise reicht ja das querschneiden der pulsadern nicht aus um sich zumzubringen, das blut gerinnt zu schnell. man müsste es längs machen. aber wenn er es nicht das erste mal gemacht hat... mit 20 jahren. musste früher ab und zu auf dem notfall aushelfen. da sieht man nichts was es nicht gibt und es war nur ein regionalspital. und wenn man dann hinter so ein schicksal sieht... wird alles andere wieder so nichtig und die eigenen problemchen so klein.

der nothelferkurs alleine reicht wohl nicht um eine solche situation zu beherrschen. ok, meiner liegt zig jahre zurück aber an sowas erinnere ich mich nicht. da ich aber ausgebildete pflegefachfrau bin, sollte ich schon wissen was zu tun ist. und in so einer situation passiert meist genau das was dir passiert ist. adrenalin lässt einen so hellwach und klar denken dass vorhandenes wissen nur abgespult wird. aber vorhanden sein muss es natürlich. ich arbeite jetzt schon ein paar jahre auf der geriatrie, von dem her würde mir ein auffrischungskurs in notfallhilfe wohl auch gut tun.
an die bilder hab ich mich gewöhnt, gynäkologi/onkologie bietet da auch sehr viel schlimmes.

 
Ganz schrecklich so etwas! Finde es absolut super wie du reagiert hast! Ich wüsste echt nicht ob ich das könnte, obwohl ich den Nothelfer und Sanitätsunterricht hatte. Im Ernstfall ist es immer etwas anderes.

Ich hoffe du kannst die Bilder bald verarbeiten, vielleicht hilft es ja auch wenn du dich nach dem jungen Mann mal erkundigst?