«Jeden Tag könnte jemand auf einem Gleis sterben»
Im Raum Bern sind vergangene Woche vier Menschen an Bahnhöfen ums Leben gekommen. Ein Lokführer schlägt Alarm: Die Leute seien leichtsinnig, die Bahnen kontrollierten nicht.
«Es ist ein Wunder, dass nicht täglich jemand von einem Zug erfasst wird,» sagt ein Lokführer, der anonym bleiben möchte. Jetzt direkt nach den tragischen Unfällen im Raum Bern, seien die Leute etwas vorsichtiger, aber das werde nicht lange anhalten. «Ich sehe jeden Tag etliche Menschen über Bahngleise rennen, und zwar an Bahnhöfen, wo es sehr wohl eine Unterführung gibt.» Dies täten nicht nur Jugendliche, sondern Menschen jeden Alters, auch Eltern mit ihren Kindern. «In Ostermundigen spazieren Mütter sogar mit ihren Kinderwagen über eine provisorisch angebrachte Rampe für Schneefahrzeuge, die über die Gleise führt.» Er frage sich, wie Kinder sich so der grossen Gefahr bewusst werden sollten.
In Wabern BE sehe er vor allem zur Mittagszeit ganze Scharen von Schulkindern die Gleise überqueren. «Da fahre ich mit 80 Stundenkilometern durch und habe keine Chance zu bremsen.» Das sei nicht einmal mit 40 Kilometern pro Stunde möglich. Immer wieder beobachte er Gruppen von jungen Menschen, die absichtlich zwischen der weissen Sicherheitslinie und dem Gleis herumtollten. «Wenn ich dann einen Warnpfiff abgebe, zeigen sie mir den Stinkefinger.»
«Vorfälle melden nützt nichts»
Er habe sich nach gefährlichen Situationen schon oft an seine Vorgesetzten gewandt, aber diese unternähmen einfach nichts. Seine Kollegen machten sich nicht einmal mehr die Mühe, einen Vorfall zu melden. «Sie wissen genau, dass es nichts nützt. Die Antwort lautet immer gleich: Es besteht kein Handlungsbedarf.»
Die Bahn nehme ihre Plicht nicht wahr. «Die schieben sich andauernd die Verantwortung hin und her, die BLS der SBB und umgekehrt.» Es sei aber essenziell, dass man die Menschen für dieses Thema sensibilisiere. «Es rennt ja auch niemand über die Autobahn.» Wie gefährlich das sei, wisse jedermann, doch an den Bahnhöfen überkomme die Menschen der Leichtsinn.
Patrouillieren und büssen
Dabei sei die Lösung so einfach. Man kenne doch die gefährlichen Bahnhöfe im Raum Bern, jedem Lokführer seien diese bekannt: Stöckacker, Bümpliz Süd, Wabern, Kehrsatz Nord, Niederwangen und Ostermundigen. Dort brauche es mehr Präsenz: «Während der Rush Hour müssten Bahnangestellte mit Westen patrouillieren, dann würde niemand mehr über ein Gleis rennen.» Und wenn doch, müsse man rigoros büssen. Nur so lernten die Menschen die Gefahren ernst zu nehmen. Doch die Bahn tue dies bewusst nicht. «Die haben Angst davor, dass ihr Image darunter leidet und dass sie Kunden verlieren.»
Das sei absoluter Blödsinn. «Die vielen Suizide sind schon schlimm genug, da müssen wir doch in der Lage sein, solche tragischen Unfälle zu verhindern.» Er und seine Kollegen fühlten sich ohnmächtig und hilflos. «Man spart ja nicht einmal Zeit, wenn man statt der Unterführung den direkten Weg über das Gleis nimmt.» Er sehe doch immer wieder, dass am Schluss beide gleichzeitig am Ziel seien. «Und dafür setzen diese Menschen ihr Leben aufs Spiel.» Für ihn sei es eine Qual, dies jeden Tag mit ansehen zu müssen. «Wenn man nichts unternimmt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder passiert.» Jeden Tag könne jemand auf einem Gleis sterben.
http://www.20min.ch/schweiz/bern/story/12918008
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