Hoi Zusammen!
Ich kann hier den meisten Schreibern uneingeschränkt zustimmen in dem was sie schreiben. Zu Coralis expliziter Frage, bezüglich er gängigen Regeln "zuerst durch die Tür gehen", "übersichtliche Liegeplätze räumen", "keine erhöhten Liegeplätze zulassen" ect. möchte ich aber gerne noch etwas intensiver eingehen:
Als ich mich mit 16 Jahren dem Thema Tierpsychologie zu widmen begann, waren diese Regeln gerade ganz neu im Kommen. Ich hatte sie eine gewisse Zeit als sehr sinnig und notwendig betrachtet. Es war die Rede der indirekten Rangzuweisung und wenn ich mich richtig erinnere hatte auch Bloch zu diesen Regeln damals einiges zu beigetragen.
DAVOR, wurden Hunde in Deutschland noch größtenteils als Wesen gesehen, die mit Härte regelmäßig untergeordnet werden müssen, um sie daran zu hindern die "Weltherrschaft an sich zu reißen". Die Rangordnung wurde einer Hackordnung den Hühnern gleich angesehen.
Auch hierzu gab es viele wissenschaftliche Erkenntnisse, nämlich die Forschungsergebnisse von Erik Ziemen, der das Sozialverhalten von Gehegewölfen und Hunden zu studieren begonnen hatte.
Viele seiner Erkenntnisse wurden durch Bloch und andere Wolfsforscher, die die Tiere in der Natur beobachten konnten wieder relativiert, ein anderes Bild kam bald zustande.
Die neue Idee der Indirekten Rangzuweisung, bei der den Hunden einfach "nur" bestimmte Rechte abgesprochen werden, um die Rangfolge zu klären galt da schon als Soft-Variante. Sie hatte aber durchaus ihre Berechtigung, und auch heute noch nutze ich einige Elemente dieser Regeln, um einem Hund-Mensch-Team zu helfen sich im Leben besser zurecht zu finden.
Aus heutiger Sicht ist es definitiv übertrieben, bei jedem Hund jede dieser Regeln konsequent anzuwenden, neueste Erkenntnisse haben gezeigt das auch das nicht Zweckmäßig ist. In einigen Fällen haben diese Regeln aber schon aus rein praktischer Sicht durchaus ihre Berechtigung.
Es dauerte gar nicht lange, da kam die Lerntheorie und der Klicker in Mode. Alles wurde nur noch mit dem Klicker bearbeitet, Positive Verstärkung heißt das neue Zauberwort und ich bin wirklich froh um diese Entwicklung. Vieles kann man mithilfe der Lerntheorie nochmal ganz anders beleuchten, erklären und komplexe Verhaltensweisen werden hiermit ganz simpel verstanden.
Die Regeln aus der indirekten Rangzuweisung können aber gerade in Kombination mit lerntheoretischen Grundlagen sehr fruchtbar zur Anwendung kommen, ich würde daher die "alten Regeln" deshalb nicht gleich in die Tonne treten.
Nur mit dem Klicker zu arbeiten brachte es manchmal mit sich, dass einige Halter gar nicht mehr mit ihrem Hund "normal" kommunizierten, sie degradierten sich zum reinen Futterautomat, was meines Erachtens dem Sozialen Wesen Hund auch nicht gerecht werden kann.
Die gesamte Entwicklung habe ich nun über die Jahre hinweg verfolgen können und ich habe mir viele Erkenntnisse daraus mit genommen.
Meines Erachtens, und das entspricht so weit ich weiß auch der aktuellsten Meinung von Günther Bloch, kann man das Zusammenleben zwischen Hunden und Menschen mit einer Familie vergleichen. Klar gibt es Regeln, die "Hunde-Eltern" setzen Grenzen im Zusammenleben und bieten auf der anderen Seite auch Freiheiten. Kooperation wird mit Großzügigkeit belohnt, mangelnde Kooperation zieht die Einschränkung der Freiheiten mit sich.
Aus sozialer Sicht entspricht dieses Gefüge also schon auch in gewissem Maße einer Rangordnung, aber man muss es ja bitte nicht übertreiben... :huh: Das hat dann nichts mit Unterdrückung zu tun, sondern mit der führenden Position verantwortungsbewusster Eltern, die ihrem Hund (statt dem Kind) helfen sich in der Welt zurechtzufinden und sich an die dort gestellten Regeln anzupassen.
Die Frage, die sich mir immer wieder stellt ist, WAS kann über soziale Regeln geklärt werden, und WO muss ich die Lerntheoretischen Grundlagen genauer beachten? Im Grunde geht beides miteinander einher und man kann es nicht von einander trennen. Doch kann ich meinem Hund über eine soziale Regel durchaus klären, dass mein Futter "MEIN" ist und ich es mir nicht einfach aus der Hand klauen lasse, in dem ich ihm unfreundlich antworte, wenn er es versucht. Die meisten Hunde werden das ohne Weiteres verstehen und es nicht wieder versuchen.
Verlasse ich den Raum und lasse das Futter liegen, ist die Handhabung über die soziale Regel nur noch bedingt möglich. Denn wenn der Sozialpartner nicht da ist um auf sein Futter aufzupassen, dann ist es nunmal Freiwild
(natürlich gibt es auch Hunde, die sich auch da noch zurückhalten). Zurückzukommen und meinem Hund eine Standpauke zu halten dass er mein Futter hätte nicht anrühren sollen ist aus sozialer Sicht wie aus lerntheoretischer totaler Unsinn. Die Belohnung hat er schließlich schon erhalten, hier muss ich anders vorgehen um das Ziel zu erreichen, dass mein Hund auch in Abwesenheit davon absieht mein Futter zu klauen.
Das Beispiel mit der Tür hat so schon auch seinen Sinn, lerntheoretisch wie auch aus Sicht der sozialen Regeln:
Wenn mein Hund zuerst durch die Tür geht, möglichst noch durch den kleinen Spalt mit Gewalt durchdrängelt, raus rennt und gleich mal die Nachbarskatze durch den Garten jagt, dann hat mein Hund ganz großen Spaß, ich und vor allem die Katze aber weniger :huh: .
Halte ich ihn an der Leine zurück, ist mein Hund frustriert, weil er die Katze nicht jagen kann. Er wird aber auch erst mal nicht ansprechbar sein und so beginnt ein Spaziergang mit einem frustrierten Hund und einem genervten Menschen.
Arbeite ich die Situation aber so aus, dass mein Hund im Haus wartet, bis ich die "Lage gecheckt habe", kann ich zusammen mit meinem Hund in die Situation hinein gehen, ihm eine Alternative zum "Katze jagen" anbieten und sein Verhalten damit kontrollieren.
Zusätzlich gehen wir somit GEMEINSAM aus der Tür, mein Hund ist aufmerksam, ich kann mit ihm "reden" und er wird bei entsprechender Arbeit in entsprechenden Situationen kontollierbarer.
Aus genau diesem Grund habe ich mit Ragnar erarbeitet, dass er sogar JEDE einzelne Treppenstufe LANGSAM mit mir herunter geht (überholen gilt nicht), bei offener Tür stehen bleibt bis ich ein Signal gebe, dass wir GEMEINSAM raus gehen und ich somit einen "kommunikativen" Hund habe, der die Nachbarskatzen inzwischen auch mal stehen lassen kann.
Ganz wichtig ist das "Halter geht zuerst durch die Tür", wenn die Haustür direkt an einen Gehweg grenzt.
In München ist mir schon oft das Herz in die Hose gerutscht, wenn sich auf einmal eine Tür auftut und ein Hund aus dem Haus läuft. Zwar ist der angeleint, aber wenn ich meinen Hund nicht so gut bei mir halten würde könnte es im Schreck zu einem Übergriff kommen. Wäre der Halter zu erst aus der Tür gegangen, hätte er die mögliche Gefahr kommen sehen.
Einige Hunde gehen aus der Tür und beginnen erst einmal zu patroullieren. Sie verteidigen möglicherweise das Haus als ihre Ressource, sind besonders territorial! Da kann es schon mal richtig gefährlich werden und es kam diesbezüglich schon mehr als einmal zu Unfällen.
Auch hier macht es durchaus Sinn, dass der Halter zu erst aus der Türe geht, der Hund also lernt sich zurück zu nehmen und die Verantwortung seinem Halter zu überlassen.
Schließlich sind doch auch die Eltern für die Sicherheit ihres Kindes verantwortlich und nicht andersherum?
Ganz unabhängig von Rangordnung und dominantem Verhalten ist diese Regel also durchaus sinnig!
Auch bei den anderen Regeln der indirekten Rangzuweisung kann es Situationen oder einfach Mensch-Hund-Teams geben, wo es Sinn macht diese Regel anzuwenden. Bei anderen ist es dagegen nicht so notwendig.
Mein Hund liegt übrigens auf dem Sofa und er knurrte die ersten Monate sehr heftig, wenn sich ihm dort jemand dazugesellen wollte. Anfassen ging gar nicht, da hätten wir eine deutliche Verwarnung kassiert. Es ging ihm allerdings nicht darum, das Sofa zu verteidigen, und unsere Freiheiten dort zu sitzen einzuschränken, er war schlicht und einfach verunsichert. Vermutlich weil er früher im falschen Hierarchiedenken der Vorbesitzer sehr unfreundlich von seinem Platz gescheucht wurde, er war der Meinung sich verteidigen zu müssen.
Inzwischen genießt er es mit uns auf dem Sofa zu kuscheln, kann sich entspannen und muss nicht mehr knurren.
Die Frage ist also immer WAS zeigt mein Hund für Verhaltensweisen, WO liegen die Herausforderungen für ein reibungsloses Zusammenleben? Und demnach setze ich Regeln der indirekten Rangzuweisung ein, um hier eine bessere Kontrollierbarkeit zu erhalten und meinem Hund zu lehren sich auf mich zu verlassen.
Grundsätzlich notwendig ist das also definitiv nicht bei jedem Hund, vor Pauschalisierungen jeglicher Art rate ich daher Abstand zu nehmen.
Vielleicht ist hiermit etwas mehr Klarheit in dieses Thema gekommen, das würde mich sehr freuen. Wenn Ihr Fragen habt, stehe ich gerne zur Verfügung.
Herzliche Grüße,
Katrin