So, jetzt nehme ich mir mal noch die Zeit, etwas zu dem Besuch bei Anita und Anda zu berichten.
Es sind einige Punkte bei Anda sehr auffällig gewesen. Inwiefern diese nun genau ursächlich für das gezeigte Verhalten sind ist schwer zu sagen, vermutlich nähren sich diese gegenseitig.
Anda wurde mit 3Monaten von einem Senn übernommen. Die Mutterhündin war schon sehr alt, der Wurf ungeplant.
Anda hat sicherlich nicht die beste Sozialisierung genossen, sie hat nur wenig kennengelernt und zeigte sich von Beginn an sehr scheu und ängstlich.
Als Anda in die Familie kam, wurde sie vermutlich mit den vielen neugierigen Gesichtern die alle den Hund sehen wollten schon einigermassen überfordert, auf dem Spaziergang sah sie dann den ersten anderen Hund und tickte da erstmals aus. Ich vermute, dass ihr Stresslevel dort schon im Unermesslichen lag und Anda einfach keine weiteren Stressoren kompensieren konnte.
Die Hündin wurde recht früh kastriert, noch vor der Geschlechtsreife wie vom TA angeraten, um das Krebsrisiko zu verringern. Hier könnte nun das ein oder andere passiert sein, dass Andas Verhalten und auch körperliches Erscheinen ungünstig beeinflusst hat. Ihr Fell sieht aus wie ein Welpenflaum, nicht wie das Fell eines erwachsenen Hundes. Zusätzlich ist es stumpf und recht dünn. Es sieht nicht gesund aus, daher möchte ich meine THP zur Rate ziehen und dann gucken wo evt. eine gezielte Diagnostik Sinn macht.
Ich vermute, dass der jetzige TA Anda einfach schon von Klein auf kennt. Da sie immer schon so aussah, also auch als Welpe, fiel das evt. einfach nicht so auf.
Die frühe Kastration könnte die hormonelle Entwicklung von Anda gestört haben, so dass sie auch im Alter nicht wesensfester oder einfach ruhiger wird.
Auch die Verdauung ist (neben dem jetzt aktuten Durchfall) nicht optimal. Anda scheisst soviel hinten raus, wie sie am Tag frisst, da ist kaum eine sinnvolle Aufnahme der wichtigen Nährstoffe möglich. Auch das könnte das Verhalten und den Gesundheitszustand mit beeinflussen. Hier bin ich aber nicht die Expertin, das schauen wir mit der THP dann gemeinsam an.
Das andere Thema ist, dass Anda in ihrem Stress nie so wirkliche Unterstützung erfahren hat. Leider geriet Anita vor allem an Trainer, die viel über Strafe einfach ein unerwünschtes Verhalten hemmten. Mangels anderer Möglichkeiten wurde das teiweise auch lange Zeit so umgesetzt. Zustätzlich probierte sie die tollen Methoden aus dem Fernsehen aus, bis sie durch meinen kürzlich erschienenen Artikel hellhörig wurde und einiges davon glücklicherweise einstellte.
Andas Bellen ist ein reiner Erregungslaut. Sie lernt zwar relativ schnell, so dass sie das Bellen evt. auch gezielt einzusetzen versteht um eine Reaktion zu provozieren, aber in den allermeisten Fällen ist sie einfach aufgeregt. Mit Strafe (Leinenruck, Wurfketten und andere Wurfgeschosse, Wasserspritze) wurde das Verhalten nicht mal zuverlässig gehemmt, sondern eher noch verschlimmert. Die Erregungslage und Anspannung steigt immer mehr an, aber das Vertrauensverhältnis zwischen Anita und Anda hat leider stark darunter gelitten. Anda zuckt teils nach dem Bellen merklich zusammen, weil sie eine Strafe erwartet, bellen muss sie aber trotzdem. Sie kann nicht anders.
Beim Spazieren gehen staunte ich wirklich nicht schlecht. Anda ist der erste Hund, bei dem ich ein ausgeprägtes stereotypes Jagdverhalten sehen konnte... Ich hoffe noch, dass ich das das nächste Mal kurz provozieren und filmen kann, denn das ist wirklich eine Seltenheit (glücklicherweise). Anda nimmt den Kong, den sie zuvor heftigst eingefordert hat, rennt in den Wald und zeigt rytmisch das immer gleiche Bild:
Mit Kong weglaufen, unter Äste stecken, mit der Schnauze etwas zuschaufeln, bellen bellen bellen Kong holen, weglaufen, unter Äste stecken, mit der Schnauze etwas zuschaufeln, bellen bellen bellen.... Es war recht dämmrig, ich hatte es nicht mehr ganz genau beobachten können, aber so in etwa sah das aus. Sie war nicht mehr ansprechbar.
Als ich es mit einer Ladung Futter schaffte, die Hündin aus ihrem Trieb kurz rauszuholen und den Kong an mich zu nehmen, dachte ich das wäre jetzt vorbei. Aber falsch gedacht. Anda verfiel in helle Panik, suchte den Kong sehr hektisch und als sie ihn nicht finden konnte wurde jeder Ast und jeder Baumstumpf von ihr attakiert. Sie verbiss sich in grosse Stecken oder Stümpfe, wirbelte Äste umher und versuchte das Verhalten, dass sie vorher mit dem Kong zeigte mit diesen alternativen Objekten auszuführen.
Ich war einigermassen sprachlos...
Als ich sie dann an die Leine nahm und sie nicht mehr in den Wald liess, lief sie komplet lustlos vor sich her, interessierte sich für keine Gerüche und nichts. Das ist kein Normalverhalten, das ist das Verhalten eines sehr gestressten und überforderten Hundes.
Arme Maus.
Es ist wirklich bewundernswert, dass Anita selbst nach so vielen Jahren nicht aufgegeben hat. Von vielen Seiten wurde ihr gesagt, sie soll Anda das im Wald doch lassen, das wäre doch ihre einzige Freude.
Nun freue ich mich, dass ich Anita zeigen darf, wie sie ihrer Anda auf ihre alten Tage noch Lebensqualität zurückbringen kann.
Strafmassnahmen jeglicher Form wurden nun komplet eingestellt. Es wird nur noch was gesagt, wenn Anda sehr fordernd ist und rüpelig wird, das akzeptiert sie aber auch sehr gut. Stattdessen darf Anda nun endlich erfahren, dass ihr niemand was böses will.
Das Futter gibt es in allen Situationen, wo Andas Aufregung hochschraubt. Damit fährt sie sehr gut runter und wurde wohl schon nach dem ersten Tag im Treppenhaus deutlich ruhiger. Auf jeder Stufe ist dort nähmlich nun ein Stück Futter zu finden. Dabei ist die Idee, dass sie ihr Futter erarbeiten soll nicht daher gekommen, weil sie zu mager ist, sondern aus dem Grund, dass sie ohnehin soviel Aufregung zeigt, dass sie mehr als genug über das Training bekommen wird. Leckerchen sind einfach nicht optimal für so eine grosszügige Trainingsfütterung;-) und da Anda das Futter auch gut annimmt, wählte ich die gesündere Variante. Die Menge wird ihre bisherige Tagesration vermutlich übertreffen.
Jetzt muss sie nur wieder eine stabile Verdauung bekommen, ich hoffe, dass der Zusatzstress meines Besuches nicht diesen Durchfall ausgelöst hat. Möglich wäre es!
Zusätzlich wird Anda nicht mehr vom Bett oder Sofa geschickt wenn sie darauf liegt und Anita dazu kommt. Aus Rangordnungsgründen hatte Antia bisher gedacht, dass sie darauf bestehen müsste, Anda von erhöhten Plätzen runter zu schicken und als die dann auch noch zu knurren und schnappen begann, fand sie ihre Ansicht erst mal bestätigt.
Anda ist aber einfach nur verunsichert und hat oft Angst vor einer möglichen unangenehmen Aktion. Somit wird Anita nun besonders respektvoll mit Anda Kontakt aufnehmen, sich freundlich nur in ihre Nähe setzen, ihr ein Leckerchen und Kuscheleien anbieten, aber auch akzeptieren, wenn Anda den Kontakt nicht wünscht und knurrt.
Als ich das mit den beiden erarbeitet habe, konnte Anda doch tatsächlich recht bald sehr entspannt auf dem Bett neben Anita liegen und sich von ihr durchknuddeln lassen, soo schön!
Um die Beziehung zu stärken und die Freude und das Vertrauen aneinander wieder aufzubauen, habe ich Kuscheln auf Bett und Sofa zu einer der Haupthausaufgaben gemacht.
Ich glaube, dass Anda sehr bald deutlich entspannter durchs Leben gehen kann.
Was ihre stereotypen Verhaltensweisen im Wald angeht werde ich mal gucken wie weit wir da kommen, aber ganz bestimmt wird sie in Zukunft sehr viel mehr echte Freude erfahren als bei der Ausübung dieser Stereotypien
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Liebe Anita, normalerweise berichte ich nicht so ausführlich von meinen Besuchen, Du hast es aber ja explizit gewünscht. Ich hoffe, dass das, was ich geschrieben habe so ok für Dich ist.
Meine Daumen sind gedrückt, dass Anda sich von ihrem Durchfall bald erholt.
Wir sehen uns bald wieder und ich bin gespannt, wie sich Anda bis dahin entwickelt!
An die Leser:
Vorwürfe bringen niemanden weiter, ich bitte daher von Vornherein, damit sparsam umzugehen bzw. sie möglichst ganz zu lassen. Es ist sehr schade, dass Anita bisher an weniger tierfreundliche Trainer geraten ist und dass sie sich auch von einigen unschönen Fernseh-Trainer-Methoden hat inspirieren lassen. Was hier passiert ist, sehe ich als typischen Fall an, wie er durch verschiedene Trainingstechniken, die im Fernsehen gezeigt werden provoziert wird. Genau das erlebe ich häufiger, wenn auch nicht immer in dieser krassen Form. Mein Artikel im Schweizer Hundemagazin soll genau vor solchen Ergebnissen warnen.
Ich bin nicht perse gegen Strafe, aber ich kenne ihre Nebenwirkungen und ich weiss, was damit kaputt gemacht werden kann. Im Zweifel eben das Vertrauen des Hundes in die Umwelt und in den Hundehalter.
Das ist auch der Grund, warum ich die Bitte gerne angenommen habe darüber zu berichten, denn hier sieht man wirklich vorbildlich, was man zu verlieren hat.
Ich weiss, dass es inzwischen deutlich mehr wirklich gute Trainer und Tierpsychologen gibt als vor 10 Jahren! Meine Bitte an Euch ist daher, wählt sorgfältig aus! Ich bin übrigens sehr dankbar, wenn Ihr auch mal von anderen Trainern oder Tierpschologen schwärmt und ausführlich berichtet, denn gerne würde ich kompetente Kollegen weiterempfehlen!
Herzliche Grüsse,
Eure Katrin